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Ein Jahr Migrantifa – Entwicklungen und Perspektiven

Wir haben uns als migrantische Selbstorganisation gegründet, weil neun unserer Geschwister am 19. Februar 2020 in Hanau kaltblütig von einem Faschisten ermordet wurden. Ein Jahr ist seitdem vergangen. Ein Jahr, in dem wir Ohnmacht und Isolation durch kollektive Entschlossenheit ersetzt haben.

Zuerst erschienen in „Die Kommune – Kommunaler Widerstand gegen die Krise (2021)“ https://lowerclassmag.com/2021/04/14/print-die-kommune-kommunaler-widerstand-gegen-die-krise/

Migrantifa Berlin

Wir haben uns gegründet, weil in diesem Land kein Tag vergeht, an dem migrantische Menschen nicht von der Polizei und den Behörden erniedrigt oder ermordet werden. Ein Jahr, in dem viele von uns den Glauben daran, dass es sich lohnt zu kämpfen, wiederbelebt oder gar zum ersten Mal entwickelt haben.

Wir haben uns gegründet, weil wir erkannt haben, dass wir selbst die Einzigen sind, die uns beschützen können.

Der Lernprozess

Ein Jahr ist vergangen, in dem sich aus vagen Träumereien von einer ge- rechteren Zukunft konkrete politische Visionen geformt haben.

Ein Jahr in dem wir gelernt haben, dass der Rassismus sich in der kapitalistischen Gesellschaft nicht auflösen lässt. Dass wir uns nicht zufrieden geben mit Krümeln vom Kuchen, die uns hier und da zugeworfen werden, sondern dass wir Baklava für alle wollen. Dass das Ziel, für das wir kämpfen wollen, eine befreite Gesellschaft ist.

Ein Jahr, in dem wir verstanden haben, dass wir Veränderung im Hier und Jetzt leben müssen, ehrliche Solidarität untereinander und mit unseren Communities aufbauen müssen; dass wir lernen müssen kollektiv zu denken, zu arbeiten und ja, auch zu fühlen. Die Vereinzelung zerquetscht uns, sie macht uns krank und angreifbar.

Ein Jahr, in dem wir mit der linken Szene und Menschen aus der Nachbar- schaft ins Gespräch gekommen sind. In dem wir viele Beziehungen aufgebaut und Solidarität erlebt haben. In dem wir aber auch gelernt haben, dass nicht alle auf unserer Seite kämpfen, auch wenn sie sich selbst so darstellen.

Ein Jahr, in dem wir erkannt haben, dass wir langfristig denken und planen müssen, dass Aktionismus allein nicht ausreicht. Dass wir weg davon müssen Politik zu machen, die einzig und allein in die linke Szene wirkt und einen ganz spezifischen Anspruch an die Bedeutung von “links sein” hat. Wir müssen zurück in unsere Klasse und unsere Kämpfe mit denen zusammenführen, die nicht an Universitäten ausgebildet oder in der linken Szene sozialisiert wurden. Wir müssen eine klassen- kämpferische Praxis entwickeln, die unsere migrantischen Geschwister mitnimmt!

Ein Jahr, in dem wir vor allem gelernt haben, dass es noch viel zu lernen gibt!

Die Tradition

Aber was ist ein Jahr Migrantifa im Vergleich zu 65 Jahren migrantischer Selbstorganisierung in der BRD? Wir blicken auf ein vielfältiges Erbe zurück. Ob es die zahlreichen Exilkämpfe sind oder die Versuche, sich ein Leben mit dem Fokus auf Deutschland aufzubauen.

Noch nie waren Migrant*innen passiv gegenüber dem Unrecht und der Ausbeutung, die sie in diesem Land erlebt haben. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: die wilden Streiks der 70er Jahre, die Gastarbeiter*innen in den Fabriken für bessere Arbeitsbedin- gungen geführt haben; die Antifasist Genclik, die sich in den 90er Jahren in Berlin gegen die zahlreichen Naziangriffe in dieser Zeit formiert haben oder die unermüdlichen Kämpfe für die Aufklärung von Morden an unzähligen unserer migrantischen Geschwistern durch die Hand von Faschisten – inner- und außerhalb des Staates. Mit allen Erfolgen und Rückschlägen wollen wir uns in Kontinuität zu dem stellen, was unsere Genoss*innen vor uns aufgebaut haben und gemeinsam aus diesen Entwicklungen lernen.

Die Ziele

Wir sehen die Notwendigkeit revolutionärer migrantischer Selbstorganisierung mit einem Fokus auf unser Leben in Deutschland: Wir brauchen kommunale Strukturen in unseren Nachbarschaften, und zwar zu unserem Schutz und unserem Überleben in diesem Land. Zusätzlich müssen wir eine breite antirassistische und an- tifaschistische Bewegung in Deutschland aufbauen. Wir verstehen uns als Internationalist*innen, was bedeutet, dass wir die revolutionären Kämpfe unserer Genoss*innen in anderen Teilen der Welt als Teil unserer Kämpfe in Deutschland verstehen und aktiv mit linken migrantischen und internationalistischen Organisationen zusammenarbeiten.

Migrantifa bedeutet nicht nur für Migrant*innen, sondern für uns alle zu kämpfen. Auch wenn unser Ausgangs- punkt migrantische Menschen sind, sind wir der festen Überzeugung, dass wir Hand in Hand und auf Augenhöhe mit unseren deutschen Geschwistern zusammenarbeiten müssen, um der Unterdrückung dieses Staates etwas entgegen zu setzen.

Ein Jahr Migrantifa und wir stehen noch ganz am Anfang. Lasst uns gemeinsam neue Wege wagen. Yallah!